
Ichina: The Rise of the Individual in Modern Chinese Society
Trotz der intensiven Beschäftigung mit dem Individuum und dem Selbst im modernen westlichen Denken neigen die Sozialwissenschaften dazu, sich auf Gruppen und Kollektive zu konzentrieren und das Individuum herunterzuspielen (oder gar zu vernachlässigen). Diese implizite Sichtweise hat auch das Studium des sozialen Lebens in China geprägt, wo sowohl die konfuzianische Ethik als auch die kommunistische Politik kollektive Strukturen mit wenig Raum für individuelle Handlungsfähigkeit und Wahlmöglichkeiten geschaffen haben.
Was jedoch tatsächlich geschieht, ist eine zunehmende Individualisierung Chinas - nicht nur eine veränderte Wahrnehmung des Individuums, sondern auch steigende Erwartungen an individuelle Freiheit, Wahlmöglichkeiten und Individualität. Das Individuum ist auch in China zu einer grundlegenden sozialen Kategorie geworden, und es hat eine Entwicklung eingesetzt, die alle Bereiche des sozialen, wirtschaftlichen und politischen Lebens durchdringt. Wie sich dieser Prozess in einem Staat und einer Gesellschaft vollzieht, die zwei der bestimmenden Merkmale der europäischen Individualisierung vermissen lassen - eine kulturell verankerte Demokratie und ein Wohlfahrtssystem -, ist eine der Fragen, denen der Band nachgeht.
Eine Stärke des Bandes liegt darin, dass es den Autoren gelingt, den Individualisierungsprozess konzeptionell scharf und empirisch sensibel und mit einem eigenen, typisch chinesischen Profil darzustellen. Das macht das Buch zu einer Pflichtlektüre für alle, die die chinesische Gesellschaft der Gegenwart mit all ihren Ambivalenzen, Kontingenzen und Widersprüchen verstehen wollen. Darüber hinaus leistet der Band einen wesentlichen Beitrag zur aktuellen Debatte in der Soziologie darüber, wie die Bedeutung der Moderne aus einer kosmopolitischen Perspektive konzeptualisiert und neu definiert werden sollte.