
Marcello Caetano and the Portuguese New State
Premierminister Marcello Caetano war der Nachfolger von António de Oliveira Salazar. Caetano, der als zweitwichtigste Figur der portugiesischen Diktatur (Regime des Estado Novo, 1933-1974) gilt, hat unter den Wissenschaftlern erhebliche Meinungsverschiedenheiten über seine Person und seine Politik hervorgerufen; einige halten ihn für autoritärer als seinen Vorgänger, andere für liberaler.
Nach einem Überblick über seine Kindheit und seinen Eintritt in die Universität erläutert der Autor sein wachsendes Engagement im Integralismo Lusitano und in der katholischen Kirche sowie seine monarchistische und nationalistische Ideologie. Caetanos Entscheidung, das Salazar-Regime zu unterstützen, fiel mit Veröffentlichungen in den Mainstream-Medien über Korporatismus, Kolonialismus, europäische Politik und die Beziehungen zwischen Brasilien und Portugal zusammen. Seine Rolle im Amt des Generalsekretärs der Mocidade Portuguesa (MP), einer Organisation der portugiesischen Jugend, die den faschistischen Jugendorganisationen in Italien oder Deutschland ähnelte, stand im Widerspruch zu seiner Neutralitätspolitik im Zweiten Weltkrieg.
Die Führung der União Nacional (der Einheitspartei des Regimes) und der Vorsitz der Câmara Corporativa (eines Parlaments für korporative Interessen) führten zu nationaler Anerkennung zu einer Zeit, als das portugiesische Regime seine Kolonialpolitik reformieren musste. Seine Spannungen mit anderen namhaften Vertretern des Salazarismus führten in den 1960er Jahren zu seiner politischen Degradierung und seiner Hinwendung zur Universität. Als Rektor der Universität Lissabon setzte er sich für die Autonomie der Universitäten ein, was die öffentliche Meinung spaltete.
Die Präsidentschaft Caetanos (ab September 1968) spiegelte das angespannte Verhältnis zwischen der Regierung und dem liberalen Flügel in der Kolonialkrise wider. Dies führte schließlich zur endgültigen Krise des Neuen Staates, zur Zersplitterung der Streitkräfte und zur Nelkenrevolution am 25. April 1974.
Während seines Exils in Brasilien zwischen 1974 und 1980 unterhielt Caetano eine Korrespondenz mit seinen portugiesischen Freunden. Diese Korrespondenz, die von Francisco Martinho vorgestellt und erläutert wird, ist für das Verständnis der zeitgenössischen politischen Geschichte Portugals von außerordentlicher Bedeutung.