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Documenting the Ethiopian Student Movement. An Exercise in Oral History
Die Stellung der Intellektuellen (im weitesten Sinne der Bildungselite) in der Gesellschaft hat sich je nach Ort und Zeit verändert. Je höher das Niveau der industriellen Entwicklung, desto geringer scheint ihr Einfluss zu sein.
So sind Intellektuelle in der so genannten Ersten Welt zwar als Berater und Mitglieder von Denkfabriken gefragt, doch üben sie nur selten direkte staatliche Macht aus. Anders verhält es sich in der so genannten Dritten Welt, vor allem in Afrika. Die Bildungselite scheint seit jeher dazu bestimmt zu sein, eine zentrale Rolle bei der Ausübung staatlicher Macht zu spielen - sei es durch soziale Zuschreibung oder durch Selbstaufhebung.
Allein in Afrika liefert uns die erste Generation der Herrscher nach der Unabhängigkeit - Kwame Nkrumah in Ghana, Lopold Sedar Senghor im Senegal, Julius Nyerere in Tansania - genügend Beweise, um diese Realität zu verstehen.
Auch in Äthiopien haben die Intellektuellen eine Rolle gespielt und einen Einfluss ausgeübt, der in keinem Verhältnis zu ihrer Größe stand. Dies lässt sich grob in zwei Phasen unterteilen, wobei die italienische Besatzung (1936-1941) eine wichtige Zäsur darstellt.
Die Intellektuellen der Vorkriegszeit beschäftigten sich mit einer ganzen Reihe von Anliegen, die von der Bildungsentwicklung bis zur Steuerreform reichten. Sie verfolgten eine im Wesentlichen reformistische Agenda. Die faschistische Invasion Italiens und die anschließende Besetzung beendeten nicht nur ihre Karrieren, sondern schufen durch ihre gnadenlose Politik der Liquidierung der Bildungselite eine Lücke in der intellektuellen Aktivität in den Jahren unmittelbar nach der Befreiung.
Die zweite Periode der intellektuellen Intervention konnte daher erst in den späten 1950er Jahren beginnen. Sie drehte sich hauptsächlich um äthiopische Studenten (in der Anfangsphase vor allem im Hochschulbereich), sowohl im In- als auch im Ausland. Daraus entwickelte sich schließlich das, was als Äthiopische Studentenbewegung (Ethiopian Student Movement) bekannt wurde.
Man könnte sagen, dass die Bewegung drei aufeinander folgende Phasen durchlief: Selbstbewusstsein, Reformismus, revolutionäres Engagement. Man ist sich einig, dass das Jahr 1965, als die Studenten mit dem Slogan "Land an den Pflug" auf die Straße gingen, den Beginn der dritten Phase markierte.
Diese dritte Phase steht im Mittelpunkt der vorliegenden Studie. Denn sie ist die entscheidende Periode, die sowohl den Hintergrund als auch den Kern der Veränderungen bildet, die den äthiopischen Staat und die Gesellschaft grundlegend beeinflusst haben - Veränderungen, die noch lange nicht abgeschlossen sind.