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Der Film Jeanne Dielman von Chantal Akerman aus dem Jahr 1975 schildert in quälender Detailtreue und in Echtzeit den Alltag einer alleinerziehenden Mutter, die kocht, putzt, ihren Sohn versorgt und Sex mit männlichen Kunden in ihrer Wohnung hat. Akerman, die den Film in fünf Wochen mit einem rein weiblichen Team drehte, beschrieb Jeanne Dielman als eine Herausforderung an die "Hierarchie der Bilder", die einen Autounfall oder einen Kuss "in der Hierarchie höher stellt als den Abwasch... Und das ist kein Zufall, sondern hängt mit der Stellung der Frau in der sozialen Hierarchie zusammen... Die Arbeit der Frau kommt aus der Unterdrückung, und was aus der Unterdrückung kommt, ist interessanter.".
Doch die Bedeutung von Jeanne Dielman ist umfassender und nachhaltiger als die Originalität seines Themas und seiner Form. Mehr als jeder andere Film zuvor oder danach erinnert er den Zuschauer daran, dass wir einem Film unsere Zeit schenken; und indem er uns zwingt, genauer und länger hinzusehen, fordert er uns auf, zu spüren, wie die Zeit vergeht, für seine Protagonistin ebenso wie für uns selbst.
Catherine Fowlers Studie über den Film verdeutlicht die Faszination von Jeanne Dielman über seinen Stellenwert als beispielhafter Film zum Anschauen und Studieren hinaus. Sie bietet eine genaue Textanalyse der Darbietung, insbesondere der von Delphine Seyrig als Titelfigur, der Inszenierung, der narrativen Struktur, der Kameraführung und des Schnitts, und stützt sich auf Originalaufnahmen, Interviews und Dokumente, um die Entstehung des Films zu erkunden. Sie hinterfragt dessen einzigartige Darstellung des häuslichen Raums und der Materialität der Frauenzeit. Dabei beleuchtet sie, warum der Film als bedeutender Vorläufer dessen gilt, was als "Slow Cinema" bekannt wurde, und warum er auch heute noch eine so große Bedeutung in der Filmgeschichte hat.