
Victims: Perceptions of Harm in Modern European War and Violence
Die Einstufung von Menschen als "Opfer" ist ein historisches Phänomen, das seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine bemerkenswerte Entwicklung genommen hat. Der Begriff "Opfer" wird weithin verwendet, um sowohl diejenigen zu bezeichnen, die in Kriegen gestorben sind, als auch Menschen, die irgendeine Form von physischer oder psychischer Gewalt erfahren haben. Darüber hinaus ist der Begriff "Opfer" zu einem Kürzel für jegliches erlittene Unrecht geworden. Dies zeigt sich in vielen Zusammenhängen: in Debatten über soziale Gerechtigkeit, bei der Forderung nach Entschädigung, bei der Verteidigung von Menschenrechten, beim öffentlichen Gedenken an vergangene Verbrechen oder bei der Forderung nach humanitären Maßnahmen. Mit einem wissensgeschichtlichen Ansatz wirft Victims einen neuen Blick auf das Phänomen, Menschen als Opfer zu klassifizieren. Es geht über die bestehenden Narrative hinaus und liefert eine neue und umfassende Erklärung der komplexen Genealogie moderner Konzepte der Opferschaft.
Um die grundlegenden Verschiebungen in der Wahrnehmung und Interpretation von Schaden aufzuzeigen, rekonstruiert dieses Buch die Entstehung der Figur des Opfers vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Der Schwerpunkt liegt dabei auf Westeuropa, und es wird gezeigt, dass weder die Weltkriege noch der Holocaust die einzigen Gründe für diesen Wandel waren. Vielmehr veränderten sich die Machtverhältnisse und neue Erkenntnisse, insbesondere in Medizin und Recht, grundlegend die Wahrnehmung und Interpretation von Tod und Leid, von legitimer und illegitimer Gewalt.
Heute nimmt die Debatte mit der weit verbreiteten Kritik an der Opferzuschreibung und der zunehmenden Delegitimierung des Begriffs eine andere Wendung. Svenja Goltermann erzählt diese Geschichte mit brillanter Klarheit - ohne sich der neuen Verunglimpfung des Opfers anzuschließen.