
Black-White-Red: Grotesques
Mynonas selbsternannte "Grotesken" bewegen sich auf einem unsicheren Terrain zwischen Märchen, Fetischismus und Philosophie und persiflieren alles vom Nationalismus bis zur Philanthropie.
Das 1916 erstmals auf Deutsch erschienene Buch Schwarz-Weiß-Rot versammelt sechs skurrile Erzählungen des "lachenden Philosophen" Salomo Friedlaender, der sein literarisches Werk unter dem Pseudonym Mynona (das umgekehrte deutsche Wort für "anonym") verfasste. In dieser Sammlung kommt es zu einem augenzwinkernden Kräftemessen zwischen Goethe und Newton, deren Farbtheorien in Form einer nationalistischen Flagge aufeinanderprallen; in einer anderen Geschichte macht sich der Erfinder des Taktilestylus daran, die Restschallwellen von Goethes Rede in seinem Arbeitszimmer durch eine mechanische Nachbildung seines Stimmapparats einzufangen, wobei die Verstärkung auf unendlich eingestellt ist. In "Das magische Ei", einer der emblematischsten und kuriosesten Geschichten Mynonas, stößt ein Mann mitten in der Wüste auf ein riesiges, in zwei Hälften geteiltes mechanisches Ei, das eine Mumie beherbergt und einen möglichen Weg zur Utopie auf der Erde weist.
Mynona, alias Salomo Friedlaender (1871-1946), war eine perfekt funktionierende gespaltene Persönlichkeit: tagsüber ein ernsthafter Philosoph (Autor von Friedrich Nietzsche: Eine intellektuelle Biografie und Kant für Kinder) und nachts ein literarischer Absurdist, der schwarzhumorige Geschichten schrieb, die er "Grotesken" nannte. Er bewegte sich am Rande des deutschen Expressionismus und des Dadaismus, und zu seinen Freunden und Fans zählten Martin Buber, Walter Benjamin und Karl Kraus.