Bewertung:

Das Buch „Costa Rica vor dem Kaffee“ von Gudmundson bietet eine gründliche Untersuchung der Agrargeschichte Costa Ricas, stellt den Mythos des autarken Bauern in Frage und beleuchtet die komplexen Beziehungen zwischen Kaffeeproduktion, Landbesitz und sozialer Ungleichheit. Der Autor stützt sich auf umfangreiche Archivrecherchen und liefert eine detaillierte Analyse der historischen und wirtschaftlichen Veränderungen in der costaricanischen Gesellschaft. Während die gründliche Dokumentation und die aufschlussreichen Perspektiven gelobt werden, vermissen einige Leser die Behandlung von Ethnie und Ethnizität.
Vorteile:Ausführliche Dokumentation archivarischer Quellen, innovative Perspektive auf die Agrargeschichte Costa Ricas, gründliche Analyse sozialer und wirtschaftlicher Transformationen, kombiniert neue Wirtschaftsgeschichte mit Sozialgeschichte, gut strukturierte Anhänge für weitere Recherchen und stellt weit verbreitete Mythen über ländliche Demokratie und Landbesitz in Frage.
Nachteile:Es fehlt eine ausführliche Diskussion über Ethnie und Volkszugehörigkeit, wichtige Aspekte wie Sklaverei und Schuldknechtschaft werden nicht angemessen behandelt, manche Leser finden es zu akademisch oder zu dicht.
(basierend auf 4 Leserbewertungen)
Costa Rica Before Coffee: Society and Economy on the Eve of the Export Boom
Costa Rica vor dem Kaffee konzentriert sich auf das Jahrzehnt der 1840er Jahre, als der Einfluss von Kaffee und Exportlandwirtschaft die costaricanische Gesellschaft zu revolutionieren begann. Lowell Gudmundson konzentriert sich auf den Charakter der Gesellschaft vor dem Kaffeeboom, macht aber auch Beobachtungen zur gesamten Geschichte Costa Ricas, von der frühesten Kolonialzeit bis in die Gegenwart, und vergleicht in seinem letzten Kapitel die Entwicklung und die Agrarstrukturen des Landes mit denen anderer lateinamerikanischer Staaten. Diese weitreichenden Anwendungen ergeben sich zwangsläufig, da der Autor die 1840er Jahre überzeugend als das Schlüsseljahrzehnt für jede Interpretation der costaricanischen Geschichte darstellt. Gudmundson fasst die vorhandene historische Literatur über Costa Rica zusammen und stellt sie in Frage, wobei er einen Großteil davon in den Bereich der Mythen verweist. Er greift das an, was er den ländlich-demokratischen Mythos (oder das ländlich-egalitäre Modell) von Costa Ricas Vergangenheit nennt, einen Mythos, der seiner Meinung nach die Geschichtsschreibung und die Politik des Landes durchdrungen hat und einen enormen Einfluss auf das Bild des Landes im Ausland und auf das Selbstbild seiner Bürger hatte. Der Mythos der ländlichen Demokratie zeichnet ein eher idyllisches Bild der Vergangenheit des Landes. Er besagt, dass vor dem Kaffeeboom die große Mehrheit der Bevölkerung Costa Ricas aus Bauern bestand, die kleine Bauernhöfe besaßen und sich weitgehend selbst versorgten. Diese Bauern genossen ein hohes Maß an sozialer und wirtschaftlicher Qualität; es gab keine großen sozialen Unterschiede und nur wenig Arbeitsteilung.
Dem Mythos zufolge war die Hauptquelle dieser relativ egalitären Gesellschaftsordnung die Zeit der Kolonialherrschaft, die 1821 endete. Die neuen Entwicklungen, die der Kaffee und der Agrarkapitalismus mit sich brachten, werden als zerstörerisch für diese ländliche Demokratie angesehen und führen direkt zu noch nie dagewesenen sozialen Problemen, die sich aus der Arbeitsteilung, dem raschen Bevölkerungswachstum und dem weit verbreiteten Klassenantagonismus ergaben. Gudmundson verwirft praktisch alle Komponenten dieses ländlichen, egalitären Modells für die Gesellschaft vor dem Kaffeeanbau und interpretiert die frühen Auswirkungen des Kaffees neu. Er verwendet eine Reihe von Quellen, darunter Volkszählungsaufzeichnungen, Notariatsarchive und Nachlassinventare, von denen viele bisher unbekannt oder ungenutzt waren, um die soziale Hierarchie des Landes, die Arbeitsteilung, die Verteilung des Reichtums, verschiedene Formen des privaten und kommunalen Landbesitzes, die Unterscheidung zwischen Städten und Dörfern, die Haushalts- und Familienstruktur sowie die Elite vor und nach dem Aufkommen des Kaffees zu analysieren. Seine überzeugende Schlussfolgerung ist, dass das ländliche egalitäre Modell nicht die Komplexität der costaricanischen Geschichte widerspiegelt, sondern weitgehend ein Konstrukt der Kaffeekultur selbst ist, das dazu diente, die Ordnung zu stützen, die das Kolonialregime ablöste. Gudmundson zeigt schließlich, dass der konzeptionelle Rahmen des ländlichen demokratischen Mythos sowohl für seine Befürworter als auch für seine Gegner einschränkend war.
Costa Rica vor dem Kaffee schlägt eine Alternative zum Mythos vor, die die Komplexität der Agrargeschichte hervorhebt und wichtige neue Wege beschreitet.