
The Early Martyr Narratives: Neither Authentic Accounts Nor Forgeries
Von Eusebius von Caesarea, der um 300 erstmals eine Sammlung von Märtyrererzählungen zusammenstellte, bis hin zu Thierry Ruinart, dessen Acta primorum martyrum sincera et selecta 1689 veröffentlicht wurde, basierte die Auswahl und Untersuchung früher hagiographischer Erzählungen auf der Annahme, dass es Dokumente gab, die zur Zeit des Martyriums oder in unmittelbarer Nähe dazu geschrieben wurden.
Infolgedessen war und ist die Suche nach Authentizität von zentraler Bedeutung, selbst im Kontext der heutigen säkularen Wissenschaft. Aber, wie Ric Rebillard behauptet, ist auch der alternative Ansatz, die Frage nach der historischen Zuverlässigkeit der Märtyrer-Erzählungen völlig außer Acht zu lassen, nicht zufriedenstellend.
Stattdessen plädiert er dafür, die Märtyrer-Erzählungen als fließende "lebendige Texte" zu betrachten, die anonym verfasst und vom Publikum nicht als präzise historische Berichte, sondern als Versionen der Geschichte rezipiert werden. Mit anderen Worten: Die Form dieser Texte, die sich zwischen Fakt und Fiktion bewegte, ermöglichte es dem Publikum, die Historizität des Märtyrers ohne weiteres zu akzeptieren, ohne jedoch zu erwarten, einen wahrheitsgetreuen Bericht zu hören oder zu lesen. In The Early Martyr Narratives (Die frühen Märtyrer-Erzählungen) berücksichtigt Rebillard nur Berichte über christliche Märtyrer, die vor 260 hingerichtet worden sein sollen, und nur solche, deren Existenz in Quellen bezeugt ist, die auf vor 300 datiert werden können.
Der daraus resultierende kleine Korpus enthält weder Texte in Form von Rechtsprotokollen, die traditionell als die frühesten, offiziellsten und authentischsten Aufzeichnungen angesehen werden, noch solche, die auf einen Zeitraum datiert werden können, in dem Christenverfolgungen bekanntlich stattgefunden haben. Anstatt daraus zu schließen, dass es sich um Fälschungen handelt, die aus polemischen oder apologetischen Gründen verfasst wurden, zeigt Rebillard, wie die Literarizität der Erzählungen eine fiktive Komplizenschaft schafft, die jeden Wahrheitsanspruch dieser Erzählungen in Frage stellt und erschwert.