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A Balthus Notebook
In seinem 1989 erschienenen Buch über Balthus - den berühmten und umstrittenen Künstler, der während des gesamten zwanzigsten Jahrhunderts in Paris arbeitete - gibt Guy Davenport eine der nuanciertesten, literarischsten und überzeugendsten Lesarten des Werks dieses Meisters. Wenn man es heute liest, wird deutlich, wie sich die Ansichten über Sexualität und Nacktheit in der Kunst in den letzten dreißig Jahren verändert haben.
In seinen Notizbüchern, die er über mehrere Jahre hinweg aufgeschrieben hat, versucht Davenport mit seinen klaren Überlegungen zu Balthus' Gemälden zu erklären, warum sein Werk so radikal ist und warum es wegen seiner Darstellung von Mädchen und Frauen so oft in die Kritik geraten ist. Davenport wirft den Blick zurück auf den Betrachter und fragt: Sind wir es oder Balthus, der die Sexualität in diese Gemälde hineinliest? Für Davenport ist die Antwort klar: Balthus zeigt uns zwar Phasen der pubertären Entwicklung, die unangenehm zu betrachten sind, aber die Erotisierung liegt in erster Linie beim Betrachter.
Davenport argumentiert, dass Balthus' Figuren nur dann erotisch sind, wenn wir sie dazu machen, und dass ihre Unschuld präsenter ist als alles Pornografische in ihnen. Er behauptet, dass die Gemälde unseren eigenen Perversitäten einen Spiegel vorhalten und uns auf schwierige Weise zwingen, uns mit ihnen auseinanderzusetzen. Er schreibt: „Je näher ein Künstler an der erotischen Politik seiner eigenen Kultur arbeitet, desto mehr bekommt er deren besorgte Aufmerksamkeit. Gauguins nackte polynesische Mädchen, braun und abgelegen, entgehen dem Skandal von Balthus, obwohl ein marsianischer Betrachter den Unterschied nicht sehen würde.“ Davenports Kritik hilft uns, Balthus in unserer Zeit zu verstehen - etwas, das wir mehr denn je brauchen, da wir uns mit der Sexualpolitik in der bildenden Kunst auseinandersetzen müssen.