
Early Medieval Exegesis in the Latin West: Sources and Forms
Eine der wichtigsten Entwicklungen in der Wissenschaft in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts war das Bewusstsein der Ideenhistoriker, Theologiehistoriker und Mediävisten für die Bedeutung der christlichen Schriften im lateinischen Mittelalter. Im Gegensatz zu einer früheren Generation von Gelehrten, die das Mittelalter als "bibelfreie Zone" betrachteten, haben neuere Untersuchungen die zentrale Rolle der Heiligen Schrift in Literatur, Kunst, Recht, Liturgie und formaler religiöser Bildung aufgezeigt.
Um das lateinische Mittelalter zu verstehen, muss man wissen, welchen Wert es der Bibel beimaß, wie es mit ihr umging und wie es sie studierte. Doch trotz der neuen Betonung der Rolle der Bibel und des Stellenwerts der Exegese im mittelalterlichen Denken ist unser detailliertes Verständnis allzu dürftig - und Verallgemeinerungen, von denen man oft annimmt, dass sie für einen Zeitraum von fast einem Jahrtausend gelten, gibt es zuhauf. Die Art und Weise, wie die Heilige Schrift in einem Bereich verwendet wurde (die formale Theologie stützte sich beispielsweise stark auf die "Allegorie"), unterschied sich oft stark von der Art und Weise, wie sie in einem anderen Bereich verwendet wurde (z.
B. war die Geschichtsschreibung an wörtlichen Bedeutungen interessiert), und die Exegese war im Laufe der Zeit und je nach Kultur unterschiedlich.
Die meisten mittelalterlichen Autoren waren sich zwar einig, dass es mehrere "Bedeutungen" im Text gab, aber die Anzahl und die Art der Bedeutungen waren sehr unterschiedlich, ebenso wie die Strategien zur Erschließung dieser Bedeutungen. Die vorliegende Sammlung von fünfzehn Artikeln, die sich auf das frühe lateinische Mittelalter konzentriert, untersucht diese Vielfalt und macht deutlich, wie lückenhaft unser Verständnis der mittelalterlichen Exegese war.
Wir sind uns zwar der Bedeutung der Bibel bewusst, aber die Erforschung dieses Phänomens steckt noch in den Kinderschuhen.