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After 1945: Latency as Origin of the Present
Was ist das Vermächtnis, mit dem die Menschheit seit 1945 lebt? Einst waren wir davon überzeugt, dass die Zeit der Motor des Wandels ist. Doch in den letzten ein oder zwei Jahrzehnten hat sich unsere Zeiterfahrung gewandelt. Die Technologie konserviert und überflutet uns mit der Vergangenheit, und wir nehmen unsere Zukunft als eine Reihe von konvergierenden und bedrohlichen Unausweichlichkeiten wahr: atomare Vernichtung, globale Erwärmung, Überbevölkerung. Überwältigt von diesen Horizonten, leben wir in einer sich ständig erweiternden Gegenwart. Indem er die vorherrschende Stimmung des Jahrzehnts nach dem Zweiten Weltkrieg als "Latenz" bezeichnet, kehrt Gumbrecht in die Zeit zurück, in der diese Veränderung des Tempos und der Struktur der Zeit auftrat, und zeigt, wie sie die Entwicklung seiner eigenen Nachkriegsgeneration geprägt hat.
Diejenigen, die nach 1945 geboren wurden, und insbesondere die in Deutschland Geborenen, hätten nichts lieber getan, als die katastrophalen Ereignisse und Explosionen der Vergangenheit hinter sich zu lassen, aber diese Möglichkeit blieb ihnen verwehrt oder einfach unerreichbar. Die Weltliteraturen und -kulturen der Nachkriegszeit offenbaren, dass dies ein weithin geteiltes Dilemma war: Sie verweisen auf unerfüllte Versprechen und sind besessen von Unehrlichkeit und Bösgläubigkeit; sie vermitteln das Gefühl der Beengtheit und der Unfähigkeit, voranzukommen.
Nach 1945 täuscht über sein Thema der Verstrickung hinweg. Gumbrecht hat sich nie durch enge disziplinäre Grenzen einschränken lassen, und seine neueste Untersuchung ist sowohl weitreichend als auch experimentell. Es verbindet Autobiographie mit deutscher Geschichte und weltgeschichtlicher Analyse, bietet aufschlussreiche Reflexionen über Samuel Beckett und Paul Celan, detaillierte Exegesen des Denkens von Martin Heidegger und Jean Paul Sartre und überraschende Überlegungen zu kulturellen Phänomenen von Edith Piaf bis zum Kinsey-Report. Dieser persönliche und philosophische Blick auf das letzte Jahrhundert ist von unmittelbarer Bedeutung für unsere heutige Identität.