Bewertung:

Das Buch bietet eine tiefgreifende Erforschung von Geschlecht und Sexualität in der talmudischen Literatur, stellt innovative Thesen auf und fordert traditionelle Ansichten heraus. Zur Überprüfung der von Boyarin aufgestellten Behauptungen sind jedoch weitere Primärstudien erforderlich.
Vorteile:Das Buch behandelt Tabuthemen im Zusammenhang mit Sex im Talmud auf respektvolle Art und Weise und erforscht möglicherweise frühe Ausdrucksformen des Feminismus im Judentum. Boyarins Fachkenntnisse in Kulturtheorie und talmudischem Material erhöhen die Tiefe der Diskussion und machen das Buch sowohl für jüdische als auch für christliche Leser wertvoll, die die Entwicklung der Geschlechterrollen verstehen wollen.
Nachteile:Die aufgestellten Behauptungen sind umfangreich und bedürfen zur Bestätigung erheblicher zusätzlicher Studien, so dass das Buch für Laien weder schnell noch einfach zu lesen ist.
(basierend auf 4 Leserbewertungen)
Carnal Israel: Reading Sex in Talmudic Culture Volume 25
Beginnend mit einer verblüffenden Bestätigung der patristischen Sicht des Judentums - dass es eine "fleischliche" Religion war, im Gegensatz zur spirituellen Vision der Kirche - argumentiert Daniel Boyarin, dass das rabbinische Judentum auf einer Reihe von Annahmen über den menschlichen Körper beruhte, die sich von denen des Christentums grundlegend unterschieden. Auf den Körper - insbesondere auf den sexualisierten Körper - konnte nicht verzichtet werden, denn die Rabbiner glaubten als religiöses Prinzip an die Zeugung von Nachkommen und damit an den durch die Ehe sanktionierten Geschlechtsverkehr.
Dieser Glaube verband Männer und Frauen miteinander und machte die verschiedenen Formen der Geschlechtertrennung, die die frühen Christen praktizierten, unmöglich. Das Bekenntnis zur Ehe bedeutete nicht, dass die ungleiche Machtverteilung, die die Beziehungen zwischen den Geschlechtern in allen spätantiken Gesellschaften kennzeichnete, aufgelöst wurde.
Boyarin argumentiert jedoch mit Nachdruck, dass die männliche Konstruktion und Behandlung von Frauen im rabbinischen Judentum nicht auf einer Abscheu gegenüber dem weiblichen Körper beruhte. Ohne die Strömungen sexueller Dominanz zu ignorieren, die sich durch die talmudischen Texte ziehen, besteht Boyarin darauf, dass die rabbinische Darstellung der menschlichen Sexualität, die sich von der des hellenistischen Judentums und des paulinischen Christentums unterscheidet, uns heute etwas Wichtiges und Ermächtigendes zu lehren hat.