
Buchstaben sind bekanntlich leicht zu erkennen, aber bekanntlich schwer zu definieren. Sowohl echte als auch fiktive Briefe können so identisch aussehen, dass es keine formalen Kriterien gibt, die den einen vom anderen unterscheiden können.
Dies ist seit langem ein Problem in der Wissenschaft, die den Wert eines antiken Briefes durch seine Authentizität bestimmt sieht, was eine strikte binäre Gegenüberstellung von echten und gefälschten Briefen erforderlich macht. Der vorliegende Band stellt diese Dichotomie direkt in Frage. Anstatt epistolarische Fiktion als literarische Gattung im Gegensatz zu „echten“ Briefen zu definieren oder sie auf feste rhetorische Merkmale zu reduzieren, wird argumentiert, dass Fiktion eine inhärente und fließende Eigenschaft von Briefen ist, die von antiken Schriftstellern erkannt und genutzt wurde.
Der Band leistet einen Beitrag zu einer breiteren Forschung über antike Fiktion, indem er durch die Vielzahl der behandelten Gattungen, Kontexte und Zeiträume zeigt, wie komplex und vielfältig das antike Bewusstsein für Fiktionalität war. Der Band zeigt, dass Briefe in einzigartiger Weise geeignet sind, die disziplinären Grenzen von Fakt und Fiktion, von echt und unecht zu verwischen, und dass dies ein tieferes Verständnis dafür ermöglicht, wie antike Schriftsteller das fiktionale Potenzial von Briefen konzeptualisierten und manipulierten.